PURER KRIEG AUF 42,195 KILOMETERN

Einmal durch die Hölle und zurück

Ein unverblümter Bericht des Königschlösser Romantik-Marathons in Füssen (22.07.18) von Miriam Brenner.

Es sollte ein „Genusslauf“ werden. Marathon in ruhigem Tempo. Zum ersten Mal wieder die volle Distanz nach meinem Ermüdungsbruch. Nochmal eine Generalprobe auf deutschem Boden, bevor es im November in New York City an den Start geht.

Um ein Zeitziel war es nie gegangen – doch, dass ich bei diesem Marathon eine derartige Challenge durchlebe, damit hatte ich nicht gerechnet.

Lassen wir es mal dahingestellt, warum genau ich in der Nacht vor dem Wettkampf kein bisschen Schlaf finden konnte. Eine Kombination aus Nervosität aufgrund der anstehenden Herausforderung und privat bedingter innerer Unruhe.

Ihr kennt das. Man wälzt sich herum, versucht dies und das und der Körper weigert sich, in eine Ruhephase über zu gehen. Dass ich – auch angesichts meiner Tätigkeit im Schichtdienst – dringend auf einen erholsamen Schlaf nach entsprechender Strapazen angewiesen war, hat die Angelegenheit nicht gerade einfacher gemacht. Ich war wach und ziemlich am Ende mit den Nerven. Ohne Schlaf bekommen zu haben, stand ich um 4 Uhr auf und fühlte mich absolut ausgebrannt. Kein Anschluss unter dieser Nummer.

Das Marathon-Frühstück würgte ich mit großer Bemühung herunter. Ich wusste, dass es der schlechteste Tag ist, den ich mir vorstellen konnte, um nach der Verletzung wieder volle Distanz zu laufen. Wäre nicht Marathon-Tag gewesen, ich hätte vermutlich nicht einmal ein lockeres Training abgehalten, so unwohl fühlte ich mich.

Nachdem meine Eltern und ich meine Freundin Lena, welche zum Support dabei war, aufgegabelt hatten, ging es nach Füssen. Im Auto war mir schon schlecht. Ich fühlte mich einfach nur elend und die Vorstellung heute 42,195 Kilometer zu laufen, erschien mir wie ein schlechter Scherz.

Vor dem Marathon setzten wir uns noch in ein Café, denn wir waren zeitig dran. Egal. Schlafen konnte ich ja eh nicht. Im Café bestellte ich nichts. Auf der Toilette kämpfte ich gegen ein Erbrechen an und teilte im Anschluss mit, dass ein Wettkampf-Abbruch heute nicht unwahrscheinlich ist. Versuchen wollte ich es dennoch. Wir waren ja schon da und meine Hoffnung war, mein Körper würde sich fangen, wenn erst einmal der Kreislauf in Schwung kam und ich frische Luft beim Laufen schnappen konnte. Ich war ja nicht krank. Aber die Übernächtigung, gepaart mit der extremen Nervosität brachte meinen Magen zum Rebellieren.

Der Startschuss fiel um 07:30 und tatsächlich fühlte ich mich in der ersten Zeit besser, trabte locker nach vorne und die Übelkeit rückte in den Hintergrund. Dieser Zustand hielt nur leider nicht lange an, denn nach der ersten Wasseraufnahme kehrte das flaue Gefühl im Magen zurück und wurde mit jedem Kilometer dominanter, bis meine Gedanken völlig von Übelkeit beherrscht wurden.

Auf dem 18. Kilometer sah ich meine Eltern mit Lena und Lena begab sich zu mir und begleitete mich einige Meter. Ich sagte ihr, dass ich nun vermutlich aussteigen werde, da mein Gesundheitszustand keineswegs für einen Marathon geeignet ist und ich die Übelkeit nicht in den Griff bekommen kann. Dennoch wollte ich noch einen Versuch starten, nachdem Lena sich zurück in den Zuschauerbereich begeben hatte.



Die folgenden 2 Kilometer wurden schlimmer. Bei Kilometer 20 stoppte ich meine Uhr und ging. In die entgegengesetzte Richtung. Ich wollte meinen Leuten entgegengehen, mein Magen konnte das nicht mehr. Rien ne va plus.

Und dann weiß ich nicht genau, was passiert ist, denn ich machte wieder kehrt, aktivierte meine Uhr erneut und lief wieder in die richtige Richtung. Mein Körper stellte das sehr in Frage, doch mein Kopf ließ keinen Widerspruch zu.

Kurz nach der Halbmarathondistanz musste ich zum ersten Mal von der Strecke, sackte hinter einem Baum im Wald zusammen und erbrach. Gleichzeitig weinte ich und schrubbte mit dem Handrücken über die raue Rinde des Baums. Ich habe mich selten in meinem Leben so elend gefühlt und ich hatte so eine Wut auf den Umstand, dass ich ausgerechnet heute keinen Schlaf finden konnte, dass ich dennoch auf keinen Fall ein Aufgeben zulassen wollte.

Auf der zweiten Hälfte des Marathons habe ich mich selbst über eine Schmerzgrenze gebracht, die ich bei mir in der Form noch nicht kannte.

Meine Gels konnte ich nicht mehr zu mir nehmen. An den Verpflegungsstellen aufgenommene Flüssigkeit konnte ich nur zeitweise behalten. Immer darauf bedacht, dass wenigstens eine kleine Menge Zucker in meine Blutbahn gelingt bevor mein Magen wieder Einspruch einlegt. Ich glaube, dass ich insgesamt 3-mal entschieden hatte abzubrechen und letztendlich lief ich doch nach 04:44 mit den schlimmsten Magenschmerzen meines Lebens den 42. Kilometer, der gütiger Weise noch eine saftige Steigung zu bieten hatte.

Auf der Zielgeraden begab sich Lena zu mir auf die Strecke. Ich konnte sogar noch einen Schlusssprint abrufen und gemeinsam liefen wir durch das Ziel und umarmten uns. Und somit endete die Hölle.

Der Hammermann hatte mich im Übrigen nicht heimgesucht. Ich hatte in der Vorbereitung ausreichend auf Grundlagen gesetzt.

Diese Medaille wird eine besondere Bedeutung für mich behalten, denn dieser Marathon hat den bisher größten Kampfgeist von mir verlangt, den ich jemals aufbringen musste. Das musste ich erst einmal verarbeiten.

Ich habe mich dazu entschieden, diesen Marathon bei Gelegenheit nochmals zu laufen und die negativen Erinnerungen durch Positive zu vertreiben.

Die Strecke, die gerade im letzten Drittel wunderschöne Blicke zu dem auf einem Felsen aufragenden Schloss Neuschwanstein bietet, ist traumhaft. Ich wünschte, ich hätte sie mehr genießen können.

Positiv zu erwähnen ist auch die tolle Verpflegung, die ich leider nicht in der Form zu mir nehmen konnte, wie ich gerne wollte. Doch das herzliche Lächeln der Menschen an den Verpflegungsstellen hat mir oftmals den Antrieb geschenkt, nicht aufzugeben.

Dieser Bericht soll nicht kommunizieren, dass meine Entscheidungen vor und während dieses Marathons richtig oder ungefährlich waren. Vielleicht hätte ich nicht starten sollen. Vielleicht hätte ich spätestens nach der Halbmarathon-Distanz abbrechen sollen. Ich habe mich dafür entschieden, zu kämpfen bis zum Schluss. Vielleicht würde ich in einem anderen Rennen anders handeln. An diesem Tag musste es so sein. Und ich blicke auf die goldene Medaille mit Respekt, Schmerz und ja – auch mit Stolz.


Herzlichen Dank für Veröffentlichung an Miriam Brenner. 

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